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Thursday, August 27, 2020

Bundesarbeitsgericht: Kopftuchverbot für Lehrerin rechtswidrig - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

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Im Streit über seinen strikten Umgang mit religiösen Symbolen im Unterricht musste das Land Berlin am Donnerstag eine weitere Niederlage hinnehmen. Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt urteilte zugunsten einer jungen Muslimin und bestätigte damit eine Entscheidung der Vorinstanz, die der Frau gut 5000 Euro zugesprochen hatte. Der Grund: Die Diplominformatikerin hatte sich in Berlin als Lehrerin beworben, doch schon im Erstgespräch mit der Schulaufsicht klargemacht, dass sie ihr Kopftuch auch im Unterricht nicht ablegen wolle.

Alexander Haneke

Als sie daraufhin nicht eingestellt wurde, zog die Frau vor das Arbeitsgericht und verlangte eine Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), da sie sich wegen ihrer Religion benachteiligt sah. Den obersten Arbeitsrichtern in Erfurt reichte dieser Sachverhalt, um eine Diskriminierung anzunehmen. Auch das Berliner Neutralitätsgesetz müsse künftig verfassungskonform so ausgelegt werden, dass Verbote etwa eines Kopftuches nur im Falle einer Gefahr für den Schulfrieden gerechtfertigt seien, urteilten die Richter. Damit wird auch Berlin, das lange auf seinen strengen Vorschriften zur Neutralität von Staatsbediensteten beharrt hatte, einen neuen Weg einschlagen müssen.

Neutralität gegen Religionsfreiheit

Die Frage, ob und wann Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst religiöse Symbole tragen dürfen, beschäftigt schon seit Jahrzehnten die deutschen Gerichte. In seinem ersten Kopftuchurteil hatte das Bundesverfassungsgericht 2003 einer Muslimin aus Baden-Württemberg recht gegeben, der das Stuttgarter Schulamt die persönliche Eignung als Lehrerin abgesprochen hatte, da sie ihr Kopftuch im Unterricht nicht ablegen wollte. Damals hatte der Zweite Senat zugunsten der Glaubensfreiheit entschieden und darauf verwiesen, dass ein solcher Eingriff in die Grundrechte der Frau nur mit einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage erfolgen dürfe, die das Land Baden-Württemberg zu dieser Zeit nicht hatte.

Mehrere Länder verabschiedeten in den Folgejahren Gesetze, die das Tragen von Kopftüchern im Unterricht untersagten. Unter anderem Nordrhein-Westfalen verankerte in seinem Neutralitätsgesetz 2006 ein Verbot für Lehrerinnen und Lehrer, in der Schule „politische, religiöse, weltanschauliche oder ähnliche äußere Bekundungen“ abzugeben, die die Neutralität des Landes oder den Schulfrieden gefährden könnten.

Diese Regelung beschäftigte 2015 abermals die Karlsruher Richter. Diesmal befand der Erste Senat, dass ein pauschales Verbot aller äußerlichen religiösen Bekundungen die Glaubensfreiheit verletze und damit gegen die Verfassung verstoße, selbst wenn es gesetzlich geregelt sei. Die Richter kippten die Vorschrift des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes allerdings nicht in Gänze – der Wortlaut müsse nur dahingehend eingeschränkt werden, dass einer Frau das Tragen eines Kopftuchs nur dann untersagt werden könne, wenn davon eine hinreichend konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität ausgehe. Eine bloß abstrakte Gefahr reiche für das Verbot nicht.

Die Länder reagierten unterschiedlich auf die Entscheidungen aus Karlsruhe. Einige sehen gar keinen Bedarf für Regelungen zum Umgang mit religiösen Symbolen, entweder weil das Problem gar nicht besteht oder man zumindest kein Konfliktpotential sieht. Andere, die von ihren Lehrern Neutralität verlangen, prüfen nun im Einzelfall, ob eine Lehrerin mit Kopftuch eine Gefahr für den Schulfrieden darstellt, die eine Einschränkung der Glaubensfreiheit rechtfertigt.

Allein Berlin hielt an der besonders strengen Regelung seines Neutralitätsgesetzes fest, das 2005 noch mit Blick auf die erste Karlsruher Kopftuchentscheidung verabschiedet worden war. Lehrer dürfen danach außerhalb des Religionsunterrichts weder sichtbare religiöse Symbole tragen noch auffallende religiös oder weltanschaulich geprägte Kleidungsstücke.

Im rot-rot-grünen Senat sorgt der Umgang mit dem Kopftuchverbot schon länger für Spannungen. Die SPD unter dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller wollte bisher an der strengen Regelung festhalten und verwies auf die Konflikte, die gerade im so vielfältigen Berlin entstehen könnten. Dort sei es mehr als irgendwo sonst wichtig, dass die Schulen besondere Neutralität wahrten. In der Linken, die das Gesetz 2005 noch mit verabschiedet hat, ist man bei dem Thema gespalten.

Vor allem die Grünen drängen schon lange auf eine flexiblere Regelung. „In der multireligiösen Gesellschaft muss es darum gehen, was jemand im Kopf und nicht auf dem Kopf hat“, teilte deren Justizsenator Dirk Behrendt am Donnerstag nach dem Urteil mit. Das Neutralitätsgesetz sollte noch in dieser Legislaturperiode geändert werden, forderte er. Der Konflikt dürfe nicht weiter auf dem Rücken der betroffenen Frauen ausgetragen werden.




August 28, 2020 at 02:16AM
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